[…]
Zwei elegant-verspielt wirkende, auf leicht nach außen geschwungenen Ball- und Klauen-Füßen stehende Seitenteile, mit je zwei mal zwei nach vorn und nach hinten zu öffnenden Schubladen tragen die von einer holzgeschnitzten Knopfleiste abgegrenzte und auf Hochglanz polierte Arbeitsfläche. Hier stehen bis heute die in Briefen und Tagebüchern immer wieder liebevoll erwähnten vorwiegend asiatischen und ägyptischen Antiken und sonstigen Erinnerungsstücke wie eh und je an jenem Platz, der ihnen einst zugewiesen worden war – vermutlich auch schon auf einem aus den «Vereinigten Werkstätten» in München stammenden Vorgänger-Möbel, das Alfred Pringsheim 1905 seinem Schwiegersohn zur Hochzeit schenkte.
Hinter der hellbraunen Leder-Schreibmappe mit den eingeprägten Initialen […] befinden sich drei Feder-Schalen. Auf einer von ihnen hat seit 1938 ein chinesischer, leicht grünlicher Jadebecher, Weihnachtsgeschenk der amerikanischen Gönnerin Agnes Meyer, Platz gefunden. Das Ensemble steht zwischen den beiden hohen – Schiller’schem Ambiente nachempfundenen – Messingleuchtern, vor dem etwa dreißig Zentimeter hohen siamesischen Bronze-Buddha oder -Krieger, wie […] ihn gelegentlich auch nennt. Rechts daneben die große chinesische Aschenschale, eine viereckige japanische Porzellanvase mit hölzernem Fuß und schließlich – familiäres Weihnachtsgeschenk 1948 für den kalifornischen Arbeitsplatz – die «hübsche Stutzuhr» in ihrem ovalen Glasgehäuse. Weiter unten dann, neben und unter vielen zum Teil recht kostbaren Kästchen und Dosen, der große elfenbeinerne Brieföffner und ein circa 15 Zentimeter langes Stück eines Elefanten-Stoßzahns. Links von der Leuchter-Gruppe die kleine Sammlung ägyptischer Grabesdiener und Soldaten und ein gerahmtes Photo von Katia als junger Frau. Davor ein kleines Bildchen der «kalifornischen Enkel» Frido und Toni. In Richtung Schreibmappe dann der Umlegekalender, mit dessen Hilfe […] gelegentlich über den Ablauf der Zeiten meditierte, und schräg darunter, in schwarzlederner Hülle, der Notizblock. Auch auf dieser Seite gibt es noch vieles andere: verschiedene schön gemaserte und blank geschliffene Steine sowie eine Schieferplatte mit dem Abdruck einer fossilen Seelilie.
Von einigen dieser Erinnerungsstücke kennen wir die Herkunft. Sie begegnen uns im Werk und werden in Briefen, später dann auch im Tagebuch erwähnt.
Die Odyssee, die hinter diesem, in seinem aktuellen Erscheinungsbild ein ganzes Schriftstellerleben repräsentierenden Gesamtkunstwerk «Schreibtisch» liegt, hat keine Spuren hinterlassen. Vergleicht man Photos aus den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren mit denen, die das Zürcher Archiv ins Internet gestellt hat, findet man nur bei genauem Hinschauen ein paar Unterschiede. Über das Wenige, das im Ablauf späterer Zeit dem Altvertrauten hinzugefügt wurde, gibt das Tagebuch minutiös Auskunft; wie es denn überhaupt erst durch die Aufzeichnungen in den Diarien möglich wird, etwas über die Bedeutung zu erfahren, die jenes Möbelstück für das Aufrechterhalten bzw. die Wiederherstellung des seelischen Gleichgewichts seines Besitzers hatte.
Es ist eine faszinierende, fast unglaublich klingende Geschichte, die allerdings mit einem weißen Flecken beginnt. Es ist der […]-Forschung bis heute nicht gelungen, genau in Erfahrung zu bringen, wann und unter welchen Umständen […] das Möbelstück erwarb. Aus Photos und einer Erzählung von Elisabeth […] wurde bisher geschlossen, dass der Kauf gegen Ende der zwanziger Jahre, vermutlich irgendwann zwischen 1928 und 1930 stattfand. Ein Tagebucheintrag vom 11. Februar 1950 in Pacific Palisades jedoch legt einen späteren Erwerb nahe: «Merkwürdiger Eindruck von Photographieen der Räume in der Poschingerstraße, 1931 hergestellt, von Moni aus der Schweiz geschickt. Arbeitszimmer, Eßzimmer, Diele und Salon. Noch der Schreibtisch aus den ‹Verein[igten] Werkstätten› mit Details, die jetzt hier.»
Auch wenn das Kaufdatum für den neuen Schreibtisch unbekannt ist, so wissen wir doch, dass der Auftrag von Münchens erster Adresse, der Antiquitätenhandlung Bernheimer, ausgeführt wurde. Leider sind die Unterlagen, die genauere Auskunft geben könnten, dem Terror der NS-Zeit und den Bombardements des Krieges zum Opfer gefallen. Und merkwürdigerweise scheint [Thomas Mann] selbst den Erwerb des Möbels nirgendwo erwähnt zu haben. Was jedoch sein weiteres Schicksal angeht, stehen wir dank des ab dem 15.März 1933 gewissenhaft geführten Tagebuches auf recht sicherem Boden.
[…]
(Jens, Inge, Am Schreibtisch, Rowolth 2013, Seiten 9-11)
und: Fahrt durch die offne tür ins Schlafzimmer: der schreiber
ein dunkler fleck im gelben zimmer die beine auf dem Schreibtisch rechts der Schreibmaschine - ein kleines graues reiseding OLYMPIA - manuskripte links verstreut daneben kleiner stapel Bücher der schiefe gelbe schirm der tischlampe an der rechten wand den wir durch die einschwebende kamera von der tür her im zentrum über ihm schon gesehen haben verdeckt ein Bild hinter Glas daneben vor dem bett ein Kamin bequem sieht Der Dichter ohne Mitleid nicht aus auf dem hochlehnigen polsterstuhl der einen starken rechten winkel von oberschenkeln und wirbelsäule abverlangt zumal er keine Armlehnen hat und das französische doppelbett mit großmusterstoff gedeckt sich ziemlich dicht hinter dem Dichter befindet er korrigiert Getipptes auf seinem Schoß es ist tag alle lampen sind an auch die langen gelben vorhänge leuchten von außen und von innen… korrigiert er die manuskripte tatsächlich oder spielt er es ein extra für Die Künstler vom Deutschen Fernsehen man möchte es nicht glauben… klarer Anruf (mit werner): ja lieber mit dem team schnell an die see dort gibt es eine chance für das "Weit-Genug-Weg Von-Der-Kamera" was ihm natürlich lieber wär…
(textbild aus Peter Handke in Paris - Ein Film von Georg Stefan Troller, Kamera: Carl F. Hutterer, 1975, https://www.youtube.com/watch?v=EVKoVvLLr_c)
[…]
Eingenommen ist schon das Mahl. Die gesättigten Kindlein
Hüpfen hinaus in das duftende Grün. Der schläfernde Vater,
Von der Schwüle des Tags erschöpft und der geistigen Arbeit,
Wandelt hinauf in sein stilles Gemach, um im schwellenden Polster
Wenige stille Minuten zu ruhn. Um den Ruhenden gaukeln
Leicht und luftig unzählige Bilder. Gleich stöbernden Schlossern
Treiben und jagen und kreuzen sie sich, verschmelzen doch endlich
In ein grosses dämmerndes Ganzes. In süsser Betäubung
Sink' ich zusammen, erwach' aus luftigem Schlummer, und fühle
Jeden Nerv gestrafft, und jedes ermattete Fiber.
Heiter setz' ich mich dann zum schöngeformeten Schreibtisch,
Welchen zum jüngsten heiligen Christ mir mein Julius schenkte,
Sich erbarmend der Noth des geplagten Autors, den vormals
Auf dem engeren Pult, ein unentwirrbares Chaos,
Rechts und links die Papier' umstarrten, seit Wochen und Monden
Über einander geschichtet; dem rechts und links die Quartanten
Und die gewaltigen Foliobände, vom staubigen Estrich
Bis zum Kinn ihm thürmend, die Luft und die Sonne verbauten.
Solcher Noth sich erbarmend, verehrte der Schöne und Gute
Mir zum jüngsten heiligen Christ den staatlichen Schreibtisch,
Welchen, von ihm belehrt, der kunstverständige Schreiner
Tüchtig und zierlich erbaut und mit schimmerndem Weiss bemahlt hat.
Mit Auszügen ist er versehn, und unzähligen Fächern
Mit geräumigem Blatte, zu fassen die Fülle der Bücher,
Mit schiefliegender Schreibefläche, zur Schonung des Auges
Sorgsam mit grünem Tuche bekleidet. Zur Rechten und Linken
Thürmen auf künstlich durchbrochnen Gerüsten die Globen von Akrell.
Drüben prangen in zierlichem Schreine Britanniens Weise,
Galliens Lehrer, und ihr, der heiligen Hellas Heroen.
Solche Männer im Auge, von solchen Mustern entflammet,
Setz' ich mich heiteren Muthes, versuche das Blatt zu vollenden,
Das ich am Morgen begann, und wenn es der Genius wehret,
Wähl' ich mir flugs ein andres Geschäft. Denn hadern zu wollen
Mit dem Genius frommt nicht; er nahet und flieht nach Belieben.
[…]
(Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 2. Leipzig, 1798)
Selbstgespräch
Ich störe mich nicht, wenn ich auf dem Schreibtisch liege. Manchmal schaue ich mich an und finde etwas Melancholie in meinem Gesicht. Dabei ist es ein Vorteil, daß ich auf dem Rücken liege und ich mich gut von oben sehen kann. Vielleicht störe ich andere, wenn ich einfach so rumliege oder mich rumliegen lasse - aber es ist mein Schreibtisch, mein unordentlicher, auf dem ich mich befinde - auch wenn ich da nichts tue, es bleibt mein Schreibtisch - also kann ich mich auf ihm solange wie ich will aufhalten. Ich weiß natürlich, daß es so aussieht, als ob ich da erst seit sehr kurzer Zeit bin. Das ist gut, denn wenn es nicht so wäre, würde sich jeder überlegen: warum. So sieht es aus, als ob ich zufällig hier hin geraten bin. Um bald weggeräumt zu werden, sollte man denken. Zu diesem Umstand hilft mir wahrscheinlich auch die ganze Unordnung, die in diesem Chaos herrscht: ich falle zwischen dem Krempel nicht so auf. Außerdem sehen viele Dinge auf meinem Schreibtisch noch viel zufälliger aus als ich. Das ist schön - da wird keiner merken, daß ich mich schon sehr lange hier auf diesem Wunderstück der Gründerzeit mit seinen geschnitzten Weintrauben auf den Türen rechts und links und der hellgrünen Schreibfläche aus…, ist das Igelit, das man im Moment nicht sehen kann, ergehe. Zumal ich mich ständig ein wenig verrücke. Ist es falsch, daß ich hier liege! Es darf und wird doch wohl auch niemand dahinterkommen?
(1972/2002)