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Es war ein ziemlich großer Raum mit ebenso weißen Wänden wie unten in der Stube, und das große Fenster öffnete sich in der Mitte der Längswand wie ein schwarzes Loch, aus dem die Dunkelheit ins Zimmer strömte, ohne von irgendwelchen Gardinen daran gehindert zu werden.
Ein Bett stand da, aufgeschlagen, einfach, als wäre es nur eine Erhöhung des Fußbodens, um dem Luftzug am Boden zu entgehen; ein Tisch, zwei Stühle, eine Kommode. Der Intendent warf einen Blick der Verzweiflung um sich, als er, der es gewohnt war, das Auge mit Eindrücken zu sättigen, nur diese vereinzelten Bedarfsgegenstände in dem leeren Raum aufgestellt sah, in dem das Talglicht seinen Kampf mit der Dunkelheit ausfocht und wo das große Fenster jeden Lichtstrahl zu verzehren schien, der von dem brennenden Talg erzeugt wurde.
Er fühlte sich so verloren, als sei er, nachdem er sich ein halbes Menschenalter zu Verfeinerung, guter Stellung und Luxus emporgekämpft hatte, in die Armut hinabgestürzt, in eine niedrigere Klasse versetzt worden, als sei sein schönheits- und weisheitsliebender Sinn ins Gefängnis geworfen, seiner Nahrung beraubt worden, in eine Strafanstalt gekommen. Diese nackten Wände waren die Klosterzelle des Mittelalters, wo die Abwesenheit jeglicher Bilder, die Leere in der Einrichtung die hungernde Fantasie dazu trieb, an sich selbst zu nagen, hellere oder dunklere Visionen hervorzurufen, nur um aus dem Nichts herauszukommen. Das weiße, das formlose, das farblose Nichts im Kalkanstrich der Wände erzwang einen bildnerischen Trieb, den die Höhle oder Laubhütte des Wilden nie hervorgebracht, den Wald mit dessen stets wechselnden Farben und beweglichen Konturen entbehrlich gemacht hätte, einen Trieb, den nicht die Ebene, nicht die Heide mit dem reichen Farbenspiel der Luft noch das nie ermüdende Meer ausgelöst hätte.
Er empfand plötzlich eine überschäumende Lust, in einem Augenblick die Wände mit sonnigen Landschaften voller Palmen und Papageien zu bemalen, einen persischen Teppich an die Decke zu spannen, Häute von Tieren auf die wie ein Kontobuch linierten Dielenbretter zu legen, Ecksofas mit kleinen TIschen davor in die Winkel zu stellen, eine Hängelampe über einem runden Tisch mit Zeitschriften und Büchern aufzuhängen, ein Klavier an einer Schmalwand aufzustellen und die lange Wand mit Bücherregalen zu bekleiden; und hinten in der Sofaecke eine kleine Frauenfigur zu setzen, egal, welche!––– Wie das Licht auf dem Tisch seinen Kampf gegen die Dunkelheit ausfocht, arbeitete seine Fantasie an der Einrichtung des Zimmers, doch dann ließ sie nach, alles verschwand, und die gräuliche Umgebung scheuchte ihn ins Bett, worauf er das Licht löschte und sich die Decke über den Kopf zog.
Der Wind rüttelte am Vordergiebel, die Wasserkaraffe schepperte gegen das Trinkglas, der Luftzug ging durch das Zimmer vom Fenster zur Tür und bewegte manchmal seine Haarstähnen, die von Seewind ausgetrocknet waren, so dass er meinte, jemand streiche ihm mit der Hand über den Kopf, und zwischen den Windstößen schlugen wie Paukenschläge in einem Orchester die großen Sturzseen dumpf gegen die ausgehöhlten Klippen draußen an der Südspitze der Schäre.Und als er sich schließlich an die einförmigen Laute von Wind und Welle gewöhnt hatte, hörte er, kurz bevor er einschlief, wie eine Männerstimme in der Stube darunter einem Kind das Abendgebet vorsprach.
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(Strindberg, August, Am offenen Meer, mareverlag 2013, Seiten 20 - 22)